Auch wenn das „W“ im W-Seminar von Anfang an auf die Wissenschaft verweist, ist es dann doch etwas Besonderes, sie richtig live zu erleben. Dem Seminar „Der moderne Roman“ ermöglichte das der Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Prof. Friedhelm Marx, durch seinen Besuch.

Die Schülerinnen und Schüler, die gerne dicke Bücher lesen, waren gespannt, was der ausgewiesene Thomas-Mann-Kenner, der über Romane von Wieland und Goethe promovierte, aber auch die Moderne und die Gegenwartsliteratur zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt, auch zu ihren Themen zu sagen habe. Schließlich hatten sie sich selbst seit der Einführung in die TB 4 der Unibibliothek schon ein bisschen eingearbeitet z.B. in Modelle des Dystopischen, autobiographische Bezüge in Romanen von Erich Kästner, das Spiel mit literarischen Modellen und Topoi in den Zamonienromanen von Walter Moers oder die Darstellung der „verlorenen Generation“ in Remarques „Im Westen nichts Neues“. Romane entführen uns in andere Welten, helfen aber auch, uns selbst zu entdecken, und so spannte auch Prof. Marx den Bogen vom auf das Individuum fokussierten Bildungsroman, der mit dem Künstlerroman oder und dem Coming-of-age-Roman verwandt ist und in radikaler Innensicht die Psyche des Protagonisten erschließt, bis zum Gesellschaftsroman, der nach Heinrich Mann „das gültige, bleibende Dokument einer Gesellschaft, eines Zeitalters sein kann“ und „soziale Kenntnis gestalten und vermitteln, Leben und Gegenwart bewahren kann noch in einer sehr veränderten Zukunft.“ Dazwischen ging es um Familien-, Ehe(bruch)- und historische Romane, um Literatur als kommunikatives Gedächtnis, das allen Unkenrufen von Kulturpessimisten zum Trotz auf dem Buchmarkt wie in der öffentlichen Wahrnehmung floriert. Angesichts der Verführungskraft und der Reizüberflutung durch die jüngeren Medien Kino, Fernsehen, Internet und Videospiele sahen in den letzten 100 Jahren manche das Ende der Literatur gekommen, aber der Roman ist die Großform der Prosa, die Königsklasse der Epik, für viele die Literatur schlechthin geblieben. Nachdem der Referent u.a. in den USA studiert und gelehrt hat, ging es auch um Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Literatur und um die Wahrnehmung der jeweils anderen Kultur. Am Ende kam noch die aktuelle Poetikprofessur Michael Köhlmeiers zur Sprache, der vier spannende öffentliche Vorträge halten wird, die auch für das Seminar sehr anregend sein werden.

So verging die Doppelstunde viel zu schnell und ließ uns mit vielen sehr lebendigen Eindrücken von einer alles andere als verstaubten Wissenschaft zurück.

B. Franze